The map is not the territory - Alfred Korzybski

Unsere Wahrnehmung der Welt ist stets subjektiv, beeinflusst von unseren Vereinfachungen, Erfahrungen, Sichtweisen, Fehlern und vor allem anderen Menschen. Sie entspricht nie ganz der Realität, und oft liegen wir weit daneben. Unsere Wahrnehmung ist wie eine Landkarte, die die Realität unzureichend abbildet.

Stellen Sie sich vor, Sie benutzen eine Stadtkarte von Berlin in New York. Das ergibt offensichtlich keinen Sinn, da die Karte das aktuelle Gebiet nicht darstellt und somit nicht zum gewünschten Ergebnis führen kann. Je genauer die Karte die Realität abbildet, desto besser können wir unseren Weg planen. Das sollte das Hauptziel bei jedem Planungsprozess sein.

Leider neigen wir dazu, bei der Verfolgung unserer persönlichen Ziele die falsche “Karte” zu verwenden, ohne es zu merken. Die Einflussfaktoren sind vielfältig:

  • Unsere Sichtweise wird stark von unseren Stimmungen und Gefühlen beeinflusst, die sprunghaft und inkonsistent sind. Beispielsweise: Richter urteilen härter, wenn sie hungrig sind (link).
  • Wir versuchen grundsätzlich, Schmerz zu vermeiden und Vergnügen zu suchen. Alles, was bei uns Schmerz verursachen kann (auch Fakten), wird gerne unbewusst ignoriert.
  • Unser tierisches Selbst folgt bestimmten Mustern, die Abkürzungen in unserem Denken darstellen, wie beispielsweise das Folgen von Gruppen. Dies war früher notwendig, um Energie zu sparen, kann aber in unserer komplexen Welt zu Fehlentscheidungen führen.

Wenn wir uns dieser Tatsache bewusst sind, können wir beginnen, ihre Auswirkungen auszugleichen und ein besseres Bild der Realität zu erhalten. Eines, mit dem wir arbeiten können.

Leider sind die genannten Einflussfaktoren aufgrund ihrer Allgemeinheit wenig hilfreich. Das Teile und herrsche-Prinzip (divide and conquer) bietet eine Lösung, indem es vorschlägt, verschiedene Aspekte voneinander zu trennen, um sie effizienter und einfacher bearbeiten zu können. Da wir in diesem Bereich einige blinde Flecken haben, empfiehlt das Prinzip den Einsatz spezialisierte Werkzeuge, die jeweils nur einen Aspekt isoliert betrachten – quasi Vermessungsinstrumente für unsere Landkarte.

Hier hilft uns die Forschung zu kognitiven Verzerrungen weiter. Eine kognitive Verzerrung oder Bias ist eine Tendenz, der alle Menschen gleichermaßen unterliegen. Sie führt die genannten Einflussfaktoren über in konkrete Fehleinschätzungen aller Menschen. Sozusagen einen gesonderten Aspekt (bzw. Fehler) der isoliert betrachtet werden kann.

Wie kann das helfen? Indem wir uns jeweils eine dieser Verzerrungen ansehen und versuchen, damit unsere Karte der Realität Stück für Stück genauer zu machen.

Hierzu gebe euch die meiner Meinung wichtigsten Verzerrungen in diesem Post mit. Es gibt aber noch deutlich mehr. Diese könnt ihr euch hier anschauen.

Für den ungeduldigen Leser gebe ich am Ende dieser doch recht langen Liste ein konkretes Beispiel, wie eine Situation durch die Brille der kognitiven Verzerrungen gedeutet werden kann. Hier könnt ihr direkt dort hinspringen.

Kognitive Verzerrungen

Bestätigungsverzerrung (Confirmation Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, Informationen oder Beweise zu suchen, zu interpretieren und zu bevorzugen, die ihre bestehenden Überzeugungen oder Hypothesen bestätigen. Gleichzeitig ignorieren wir widersprüchliche Informationen oder werten sie herab.

Ursache: Menschen suchen nach Informationen, die ihr Überleben und Wohlbefinden fördern, was zu einer Bevorzugung bestätigender Informationen führt.

Denkmuster: Meine Meinung ist korrekt, weil ich viele Experten gefunden habe, die zustimmen. Diejenigen, die widersprechen, wissen einfach nicht genug über das Thema.

Gegenmittel: Aktiv nach widersprüchlichen Informationen suchen und diese bewerten, um eine objektivere Sichtweise zu erhalten. (Das ist wahre Wissenschaften :-))

Überzeugungsverzerrung (Conviction Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, an Ideen oder Überzeugungen festzuhalten, an die wir stark glauben, auch wenn wir mit Gegenbeweisen konfrontiert werden. Dieser Glaube kann so stark sein, dass wir es als persönlichen Angriff empfinden, wenn jemand unsere Überzeugungen infrage stellt.

Ursache: Menschen sind soziale Wesen und neigen dazu, an Überzeugungen festzuhalten, die ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Identität stärken.

Denkmuster: Diese Idee bedeutet mir so viel, sie muss wahr sein. Wie könnte sie falsch sein, wenn sie solch eine Leidenschaft in mir entfacht, sie zu verteidigen?

Gegenmittel: Sei offen für neue Informationen und hinterfrage deine Überzeugungen regelmäßig, um den Glauben an eine Idee auf Fakten zu stützen.

Erscheinungsverzerrung (Appearance Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, unbewusst Schlussfolgerungen oder Bewertungen über andere Personen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes zu ziehen, ohne dabei deren tatsächliche Fähigkeiten, Charaktereigenschaften oder Leistungen zu berücksichtigen.

Ursache: Evolutionär gesehen war es oft wichtig, schnelle Bewertungen auf der Grundlage äußerer Merkmale vorzunehmen, um potenzielle Bedrohungen oder Verbündete zu erkennen.

Denkmuster: Sie sieht so professionell und selbstbewusst aus, sie muss gut in ihrem Job sein. Andererseits wirkt er ungepflegt, also ist er wahrscheinlich unzuverlässig oder weniger kompetent.

Gegenmittel: Urteile nicht vorschnell, sondern ermögliche Personen, sich durch ihre Fähigkeiten und Handlungen zu beweisen.

Gruppenverzerrung (Group Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, bevorzugt Mitglieder der eigenen Gruppe zu unterstützen und positiver zu bewerten. Dies geschieht oft auf Kosten von Mitgliedern anderer Gruppen, die weniger bevorzugt oder sogar diskriminiert werden.

Ursache: Gruppenzusammenhalt war wichtig für das Überleben und den Schutz in frühen menschlichen Gesellschaften, was zu einer Bevorzugung der eigenen Gruppe führte.

Denkmuster: Wenn alle diese Meinung haben, dann kann sie ja nicht falsch sein.

Gegenmittel: Übe Empathie, um die Perspektiven anderer Gruppen zu verstehen, und bewerte Individuen unabhängig von ihrer Gruppenzugehörigkeit.

Schuldzuweisungsverzerrung (Blame Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, anderen Personen, Gruppen oder Umständen die Schuld für negative Ereignisse oder Situationen zuzuschreiben, anstatt die eigene Verantwortung oder mögliche externe Ursachen zu erkennen und anzuerkennen.

Ursache: Das Zuschreiben von Schuld an externe Faktoren kann das Selbstwertgefühl schützen und das Gefühl der Selbstwirksamkeit erhalten. (Schmerz Vermeidung)

Denkmuster: Ich bin nicht schuld. Die Verantwortung trägt xyz vollständig. Hätte er nur auf mich gehört. Jetzt ist es zu spät.

Gegenmittel: Reflektiere deine eigene Rolle in einer Situation und sei bereit, Verantwortung für Fehler oder Probleme zu übernehmen.

Überlegenheitsverzerrung (Superiority Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, unsere eigenen Fähigkeiten, Eigenschaften oder Leistungen als überdurchschnittlich oder besser als die anderer Personen einzuschätzen. Meist basiert diese Selbstwahrnehmung weder auf objektiven Kriterien noch auf tatsächlichen Leistungen.

Ursache: Ein gewisses Maß an Selbstvertrauen war notwendig, um Risiken einzugehen und Herausforderungen zu bewältigen, die das Überleben förderten.

Denkmuster: Ich bin anders. Ich bin rationaler als andere und auch ethischer.

Taktik: Übe Selbstreflexion und vergleiche deine Fähigkeiten oder Leistungen objektiv mit denen anderer, um eine realistischere Selbstwahrnehmung zu entwickeln.

Ankereffekt (Anchoring Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, uns bei einer Entscheidung oder Schätzungen an einem ersten verfügbaren Referenzpunkt (Anker) zu orientieren, auch wenn dieser Anker irrelevant oder unzureichend ist.

Ursache: Frühe menschliche Entscheidungsfindung erforderte oft schnelle, intuitive Urteile auf der Grundlage begrenzter Informationen, was zur Verwendung von Ankerpunkten führte.

Denkmuster: Das erste Angebot war 100 Euro, also sollte der tatsächliche Wert ungefähr so sein. Ich werde mein Angebot nur ein wenig anpassen.

Taktik: Sammle weitere Informationen und betrachte verschiedene Perspektiven, bevor du eine Entscheidung triffst oder eine Schätzung abgibst.

Versunkene Kosten-Fehlschluss (Sunk Cost Fallacy)

Beschreibung: Wir neigen dazu, weitere Ressourcen (Zeit, Geld, Mühe) in eine Angelegenheit zu investieren, wenn wir bereits erhebliche Ressourcen investiert haben. Dadurch halten wir an Entscheidungen fest, die aufgrund aktueller Informationen nicht mehr sinnvoll sind.

Ursache: Früher war es wichtig, Ressourcen zu maximieren und Verschwendung zu vermeiden, was zu einer Fortführung bereits begonnener Projekte führte.

Denkmuster: Ich habe schon so viel Zeit und Geld in dieses Projekt gesteckt, ich kann jetzt nicht einfach aufgeben.

Taktik: Konzentriere dich auf zukünftige Kosten und Nutzen, anstatt auf bisherige Investitionen, um rationale Entscheidungen zu treffen.

Verfügbarkeitsverzerrung (Availability Bias)

Beschreibung: Menschen neigen dazu, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen aufgrund der Verfügbarkeit von Informationen oder Beispielen in ihrem Gedächtnis zu überschätzen.

Ursache: Menschen mussten sich auf leicht abrufbare Informationen verlassen, um schnelle Entscheidungen in einer unsicheren Umwelt zu treffen.

Denkmuster: Ich habe von vielen Flugzeugabstürzen gehört. Fliegen muss viel gefährlicher sein, als es tatsächlich ist.

Taktik: Informiere dich über tatsächliche Statistiken und Wahrscheinlichkeiten, anstatt dich auf anekdotische Beispiele oder persönliche Erfahrungen zu verlassen.

Optimismusverzerrung (Optimism Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, die eigenen Erfolgschancen oder die Wahrscheinlichkeit positiver Ereignisse in eigenen Leben zu überschätzen, während sie die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse unterschätzen.

Ursache: Optimismus förderte die Risikobereitschaft und das Erkunden neuer Möglichkeiten, die für das Überleben und den Fortschritt notwendig waren.

Denkmuster: Mir wird schon nichts Schlimmes passieren, ich bin ein Glückspilz. Solche Dinge passieren immer nur den anderen.

Taktik: Plane realistisch und bereite dich auf mögliche Herausforderungen oder negative Ereignisse vor, um Überraschungen zu vermeiden.

Selbstwertdienliche Verzerrung (Self-Serving Bias)

Beschreibung: Wir neigen dazu, uns Erfolge selbst zuzuschreiben und Misserfolge externen Faktoren zuzuschreiben.

Ursache: Diese Verzerrung schützt das Selbstwertgefühl und fördert Selbstwirksamkeit, was zu einer erhöhten Motivation und Handlungsbereitschaft führt. (Schmerz Vermeidung)

Denkmuster: Wenn ich erfolgreich bin, liegt es an meiner harten Arbeit und Intelligenz. Wenn ich scheitere, liegt es an Pech oder ungünstigen Umständen.

Taktik: Akzeptiere sowohl Erfolge als auch Misserfolge als Teil deiner eigenen Leistung und lerne aus beiden, um persönliches Wachstum zu fördern.

Repräsentativitätsheuristik (Representativeness Heuristic)

Beschreibung: Wir neigen dazu, Urteile und Schätzungen auf der Grundlage von Ähnlichkeiten zu treffen, ohne die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten oder statistischen Gesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen. Dies kann zu ungenauen Vorhersagen und Fehlentscheidungen führen.

Ursache: Menschen haben eine intuitive Vorstellung von Wahrscheinlichkeiten entwickelt, um in einer komplexen und unsicheren Umwelt schnell Entscheidungen treffen zu können.

Denkmuster: Sie ist Künstlerin, also muss sie kreativ, aber unorganisiert sein. Er ist Ingenieur, also ist er wahrscheinlich analytisch, aber weniger einfühlsam.

Gegenmittel: Hinterfrage Stereotypen und vorgefasste Meinungen, indem du relevante Informationen und objektive Statistiken in Betracht ziehst, bevor du Schlussfolgerungen ziehst oder Entscheidungen triffst.

Affekt-Heuristik (Affect Heuristic)

Beschreibung: Wir neigen dazu, Entscheidungen und Urteile auf der Grundlage von Emotionen und Gefühlen zu treffen, anstatt objektive Informationen und rationale Überlegungen zu berücksichtigen. Dies kann zu verzerrten Urteilen und irrationalen Entscheidungen führen.

Ursache: Emotionen spielten in der menschlichen Evolution eine zentrale Rolle, indem sie schnelle Reaktionen auf Umweltreize ermöglichten und so das Überleben und Wohlbefinden förderten.

Denkmuster: Ich habe ein gutes Gefühl bei dieser Investition, also werde ich mein Geld dort anlegen. Ich mag diese Person nicht, daher muss sie inkompetent sein.

Gegenmittel: Lerne, deine Emotionen zu erkennen und zu kontrollieren, und stütze deine Entscheidungen und Urteile auf objektive Fakten, um eine ausgewogenere und fundiertere Perspektive zu gewinnen.

Anwendungsbeispiel

In einem Team gibt es einen Mitarbeiter der die Funktion eines Leitwolfs einnimmt. Jeder richtet sich nach ihm. Er mag das genau so. Entscheidungen trifft er meist alleine. Welche Denkfehler könnte der Leitwolf und das Team unterliegen?

  1. Überlegenheitsverzerrung (Superiority Bias): Der Leitwolf fühlt sich möglicherweise besser oder fähiger als die anderen Teammitglieder, was dazu führt, dass er Entscheidungen alleine trifft, ohne die Meinungen und Fähigkeiten anderer zu berücksichtigen.
  2. Gruppenverzerrung (Group Bias): Da sich alle Teammitglieder an den Leitwolf richten, kann dies dazu führen, dass sie dessen Meinungen und Entscheidungen bevorzugen, ohne kritisch zu hinterfragen oder alternative Ansätze in Betracht zu ziehen.
  3. Selbstwertdienliche Verzerrung (Self-Serving Bias): Der Leitwolf könnte dazu neigen, Erfolge des Teams seiner eigenen Führung zuzuschreiben und mögliche Misserfolge auf andere Faktoren oder Teammitglieder zu schieben.
  4. Ankereffekt (Anchoring Bias): Da der Leitwolf die Entscheidungen trifft, könnten die Teammitglieder dazu neigen, sich an dessen Meinungen und Vorschlägen als Referenzpunkt zu orientieren, auch wenn diese möglicherweise nicht immer optimal sind.
  5. Affekt-Heuristik (Affect Heuristic): Der Leitwolf und die Teammitglieder könnten Entscheidungen aufgrund von Emotionen treffen, insbesondere wenn es sich “gut anfühlt”, dem Leitwolf zu folgen oder dessen Entscheidungen zu unterstützen, anstatt objektive Informationen und rationale Überlegungen zu berücksichtigen.

Alle Sichtweisen zusammengenommen zeichnen ein ziemlich deutliches Bild der realen Situation. Mittels dieses Bildes lässt sich als Mitarbeiter, Leitwolf oder Führungskraft die Situation besser einschätzen und ein gewünschtes Ziel verfolgen.

Zusammenfassung

Die Landkarte ist nicht das Gebiet: Unzulänglichkeiten unserer subjektiven Wahrnehmung der Realität können durch kognitive Verzerrungen unsere Entscheidungsfindung beeinträchtigen. Um ein genaueres Bild der Realität zu schaffen und bessere Entscheidungen zu treffen, ist es wichtig, konkrete Gegenmittel für einige der häufigsten Verzerrungen anzuwenden. Indem wir uns unserer kognitiven Verzerrungen bewusst werden und sie überwinden, können wir lernen, effektiver und realitätsnaher zu planen und handeln.